Bedingungsloses Grundeinkommen für alle – geht denn das?
29. Panketaler Gespräch am 3. Dezember 2018 mit Ronald Blaschke, Mitbegründer der Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE, Mitherausgeber mehrerer Bücher zum Grundeinkommen
Schon im Vorfeld dieser Veranstaltung gab es heftige Diskussionen unter den Genossinnen und Genossen. Dabei wurde klar, dass das Thema sehr stark polarisiert. Das war dann auch am Tag der Veranstaltung deutlich zu merken. Die einen gingen offen an das Thema heran, andere kamen voller Vorurteile.
Ronald Blaschke, der sich seit dem Jahr 2000 intensiv mit dem bedingungslosen Grundeinkommen beschäftigt, hatte alle Vorurteile und Gegenargumente schon etliche Male gehört und konterte schlagfertig, mit genauestem Fachwissen zu Marx, der langen Geschichte und den unterschiedlichen theoretischen Grundlagen des bedingungslosen Grundeinkommens.
Lasst uns offen und unvoreingenommen an dieses Thema gehen. Ja, es klingt utopisch, ja es ist noch nicht greifbar und es stimmt, wir haben viele offene Fragen: Wer geht dann noch arbeiten? Wie soll das Ganze finanziert werden?
Ronald Blaschke begann mit einer Fragerunde: Wie viel Geld bräuchten Sie persönlich, um ein abgesichertes Leben - ohne Luxus aber schon mit ab und zu Kultur und Essen gehen – führen zu können? Im Durchschnitt waren es bei den Anwesenden so um die 1.200 – 1.300 Euro.
Danach sollte man sich vorstellen, man hätte im Lotto gewonnen und würde genau diese 1.200 – 1.300 Euro bis an sein Lebensende Monat für Monat zur Verfügung haben. Er fragte nun, was man dann in seinem Leben verändern würde. Als Antworten kamen: mehr Kultur, mehr ehrenamtliche Tätigkeit, mehr Spenden, mehr Weiterbildung, größere Urlaubsreisen, sich ausprobieren oder das Risiko einer Start-up Gründung eingehen. Es kam auch die Antwort nach mehr Freizeit und weniger abhängiger Lohnarbeit.
Nun sind wir schon bei einer der Schlüsselfragen: Wer geht dann noch arbeiten? Niemand in der Runde hat geantwortet, dass er gar nicht mehr arbeiten gehen würde. Interessant oder? Skeptiker, die meinen alle seien faul und würden dann nicht mehr arbeiten, fragt Ronald Blaschke gern, was sie selbst dann machen würden. Und eigentlich antworten alle, dass sie weiterarbeiten würden, höchstens einige Stunden weniger in der Woche. Lasst uns also nicht darüber reden, was andere machen würden, reden wir über uns.
Das bedingungslose Grundeinkommen findet seine erste Erwähnung im Jahr 1796, als Thomas Spence es im Rahmen der Vergemeinschaftung des Grundbesitzes vorschlug. In der Mitte des 19. Jahrhunderts propagierten Charles Fourier und seine Schüler das partielle Grundeinkommen, verbunden mit grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen. Zu den Befürwortern zählen Erich Fromm, Martin Luther King und Milton Friedman – Vertreter ganz unterschiedlicher Weltanschauungen.
Das bedingungslose Grundeinkommen ist kein Allheilmittel für die Probleme der Menschheit und unserer derzeitigen Gesellschaft. Es gibt fleißige Menschen, es gibt faule Menschen, es gibt sich ehrenamtlich engagierende Menschen, es gibt ehrgeizige Menschen, es gibt ängstliche Menschen, es gibt risikobereite Menschen – so bunt und vielschichtig sind und bleiben wir – mit und ohne Grundeinkommen. Es gibt soziale Ungerechtigkeiten, es gibt die Migrationsfrage – auch schon heute, ohne dass es ein Grundeinkommen gibt.
Wichtig ist, wir sind alle Menschen und haben das Recht, frei über unser eigenes Leben zu verfügen. Das Grundgesetz sagt weiterhin, dass niemand zu einer Arbeit gezwungen werden darf. Aber was macht Hartz IV? Es wird definiert, dass einer erwerbsfähigen Person grundsätzlich jede Arbeit zumutbar ist. Im schlimmsten Fall drohen Sanktionen. Hartz IV bedeutet im Bundesdurchschnitt eine Grundsicherung in Höhe von 786 Euro pro Alleinstehenden. Zum Vergleich: die Pfändungsfreigrenze liegt bei 1.139 Euro, die Armutsrisikogrenze bei 1.180 Euro, deutlich über Hartz IV! Viele Menschen, die Anspruch auf Sozialleistungen hätten, gehen aus Scham oder Angst, ihr Erspartes zu verlieren, nicht zum Amt. Untersuchungen sprechen von 34 bis 68 Prozent Nichtinanspruchnahme. Auch die Ungerechtigkeit „Bedarfsgemeinschaft“ muss genannt werden. Hartz IV ist bereits eine Unterschreitung der Armutsgrenze, da kann und darf es gar keine Sanktionen mehr geben. Hartz IV verstößt gegen Grundrechte, schließt Teilhabe aus und ist somit als Grundsicherung ungeeignet. Hartz IV muss weg – das sagt DIE LINKE schon von Anfang an.
Dennoch gibt es Widerspruch gegen das Grundeinkommen unter den Genossinnen und Genossen. Das Modell der Partei DIE LINKE zum bedingungslosen Grundeinkommen bietet aber ja genau zu Hartz IV eine Alternative: Absicherung der Existenz, Teilhabe und das bedingungslos und für alle – ohne Arbeitszwang, kumulierbar mit anderen Einkünften und ohne Bedürftigkeit.
Wie soll das bedingungslose Grundeinkommen finanziert werden?
Stichwort: Bürgerversicherung. Es käme eine Menge Geld in die Kassen, wenn endlich jeder in die gesetzliche Sozialversicherung einzahlt und zwar für sein komplettes Gehalt.
Stichwort: Steuern. Das bedingungslose Grundeinkommen kann ferner durch Steuererhöhungen bei den höheren Einkommen finanziert werden. Das Modell der Partei DIE LINKE sieht vor, dass das bedingungslose Grundeinkommen für alle mit einem Bruttoeinkommen von unter 7.000 Euro im Monat ein Gewinn wäre. Wer darüber verdient, hätte höhere Abzüge als heute.
Gebührenfreie öffentliche Verkehrsmittel, gebührenfreie Bildung, gebührenfreier Zugang zu Kultur, gebührenfreies Internet sind im Modell des bedingungslosen Grundeinkommens als nichtmonetäre Bestandteile vorgesehen. Das Modell erläutert auch eine mögliche schrittweise Einführung des Grundeinkommens als Kinder- und Jugendeinkommen, Bildungsgeld für Studierende, sanktionsfreie, armutsfeste, individuell garantierte Mindestsicherung für Erwerbslose / Erwerbsgeminderte, Grundeinkommen für Erwerbstätige bei Arbeitszeitverkürzung (z.B. sabbatical) oder als Grundrente.
Das Thema Grundeinkommen ist unglaublich komplex. Es gibt Modellversuche, z.B. in Namibia, aber auch in Deutschland (www.mein-grundeinkommen.de). Menschen, die das bedingungslose Grundeinkommen getestet haben, berichten durchweg positiv. Sie befreien sich von Zwängen, von prekärer Arbeit, finanziellen Abhängigkeiten in unglücklichen Partnerschaften. Sie fühlen sich wertgeschätzt und treten selbstbewusster auf, lassen sich auf Arbeit nicht mehr alles gefallen. Sie arbeiten weiter. Vielleicht arbeiten sie ein bisschen weniger in abhängiger Lohnarbeit.
Das bedingungslose Grundeinkommen würdigt jedes Individuum und jede Arbeit: Erziehung der Kinder, Versorgen des Haushalts, ehrenamtliche Tätigkeit, Schule, Ausbildung, Studium, Weiterbildung. Es trägt zu Chancengleichheit, ökonomischer Unabhängigkeit und der Aufwertung „frauentypischer“ Berufe bei.
Das bedingungslose Grundeinkommen erfordert grundlegende Veränderungen und eine demokratische Aneignung der Produktions- und Lebensbedingungen.
Die Diskussion darüber reiht sich ein in die notwendigen Debatten, die auf dem Weg in eine freie emanzipatorische Gesellschaft geführt werden müssen.
Es klingt wie ein Traum, eine Vision. Aber war es nicht vor 100 Jahren auch völlig unvorstellbar, dass Frauen wählen gehen dürfen?
Das Schlusswort bekommt Katja Kipping:
Eine Gesellschaft mit bedingungslosem Grundeinkommen?
„Vielen fällt es schwer, sich das heute vorzustellen. Andere sind unsicher über die Wirkungen. Freilich, niemand kann eine definitive Garantie ausgeben, wie eine Grundeinkommensgesellschaft funktioniert. Schließlich wurde bisher nirgendwo ein bedingungsloses Grundeinkommen realisiert. Was es aber in der Realität gibt, ist das Gegenmodell zum Grundeinkommen: also Arbeitszwang, Bedürftigkeitsprüfungen, Sozialleistungen unterhalb der Armutsgrenze und die finanzielle Inhaftnahme von Angehörigen. In Deutschland ist dies bekannt unter der Bezeichnung Hartz IV. Wir können also zumindest empirisch überprüfen, was passiert, wenn nicht das Grundeinkommen, sondern sein Gegenpart realisiert ist. Beispielsweise hat die Erpressbarkeit der Beschäftigten zugenommen. Unbezahlte Überstunden und Lohnreduzierungen wurden verstärkt akzeptiert, weil dies besser erschien, als auf die Gnade der Jobcenter angewiesen zu sein. Diese Erfahrungen zeigen, wie Recht Marx mit der Einschätzung hatte, dass das Erpressungspotential der Reservearmee der Erwerbslosen den Unternehmen beim Lohndumping in die Hände spielt. Ausgegrenzte Gruppen wirken als Warnsignal an die Mehrheit: Seht, so könnte es euch auch ergehen. Die konsequenteste Antwort auf die Unsicherheit der Prekarität und den Wandel der Arbeitswelt ist das bedingungslose Grundeinkommen.“
Ines Pukall
(Quelle und weiterführende Informationen unter www.ronald-blaschke.de)