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Stasi und kein Ende

Nach den Beschlüssen im Brandenburger Landtag und im Barnimer Kreistag soll es nun auch eine Überprüfung der Gemeindevertreter im Ort auf eine Tätigkeit für den DDR-Staatssicherheitsdienst geben. So wie dies schon mehrere Male seit 1990 geschehen ist. Der moralische Anspruch, nur jenen Abgeordneten das Vertrauen zu schenken, die sich nicht Straftaten, Menschenrechtsverletzungen und Denunziation zu Schulden haben kommen lassen, ist hoch und vom Grundsatz her nicht zu bemängeln. Ein Gemeinwesen, dass nicht nach den Prinzipien einer allseitig lebendigen Demokratie funktioniert, bringt tendenziell immer autoritäre und diktatorische Züge hervor. Die Geschichte der sozialistischen Länder ist dafür ein gutes Lehrbeispiel.
Bei aller kontroversen Diskussion zu diesem Thema innerhalb der LINKEN (gleichermaßen gilt dies für die PDS), gibt es in der grundsätzlichen Bewertung des untergegangenen Sozialismus eine sehr kritische Haltung zu den Herrschaftsstrukturen in der DDR. Man sehe sich nur die vielen Veröffentlichungen der Historischen Kommission der PDS oder die grundsätzliche Bewertung an, die Gregor Gysi bereits auf dem Sonderparteitag im Dezember 1989 getroffen hat. Die Kriminalisierung von Andersdenkenden, darunter auch von Dissidenten aus den eigenen Reihen, und die Bespitzelung eines ganzen Volkes ist nicht zu rechtfertigen. Die Unterdrückung und das Fehlen einer breiten Debatte über die Gestaltung der Gesellschaft ist ein entscheidender Grund für das Scheitern dieses antikapitalistischen Modernisierungsversuches DDR.
Die DDR war sicher kein Rechtsstaat. Einer historischen Bewertung der DDR wird man jedoch nicht gerecht, wenn man dieser Gesellschaft den Stempel „Diktatur“ aufdrückt, am besten noch in einem Atemzug nennt mit der vorangegangenen Nazidiktatur. Die Forderung nach einer differenzierten Bewertung hat nichts zu tun mit einer Verklärung der DDR. Damals Diktatur - heute Demokratie, das sind sehr vereinfachende Strickmuster, die nach meinem Dafürhalten bestenfalls geeignet sind für Bild-Leser. Als gäbe es nichts, was man aus der DDR-Geschichte lernen könne, und als gäbe es nichts, was an der heutigen Gesellschaft zu kritisieren wäre, auch mit Blick auf Verletzungen von Menschenrechten und Demokratie.
Geheimdienste sind immer Herrschaftsinstrumente des Staates. Wie der Staat als ganzes, haben sie immer die Tendenz zur Verselbständigung und zur Aushebelung von Grundrechten, nicht nur im Sozialismus. Was ist mit dem Kidnapping von Menschen aus Deutschland und anderen Staaten wie jüngst durch den US-Geheimdienst praktiziert, was ist mit der Einrichtung von Geheimgefängnissen in Osteuropa, mit dem Gefangenenlager in Afghanistan und Guantanamo, in denen Häftlinge ohne jegliche Rechte seit Jahren festgehalten und gefoltert werden? Ist es hinzunehmen, wenn die Bundsregierung offiziell den völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak ablehnt, aber letztlich mit BND-Beamten im Untergrund vor Ort doch eine „wertvolle“ Aufklärungsarbeit für die USA leistet? Warum haben die RAF-Terroristen seinerzeit ihre Waffen von einem Mann des Verfassungsschutzes erhalten und welche Folgen hatte das für die Entwicklung der RAF? Oder wie ist das mit dem Spitzel- und Zuträgersystem, von dem der scheidende ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender jüngst über seinen Sender berichtet hat?
Haben Menschenrechtsverletzungen und staatlich sanktioniertes Unrecht in der westlichen Demokratie einen anderen Wert als Unrecht in der DDR? Ist nicht nahezu alles, was man dem MfS anlastet, alltägliche Praxis von Geheimdiensten demokratisch verfasster Staaten? Die Schauprozesse gegen Janka, Harich und viele andere, die vor allem in den 50er Jahren in der DDR zur Abschreckung inszeniert wurden, sind nicht zu rechtfertigen. Sind es die Prozesse in der Bundesrepublik gegen Mitglieder der KPD, gegen die Träger eines FDJ-Hemdes oder gegen Bundesbürger, die ihre Kinder in Ferienlager der DDR geschickt haben? Jutta Limbach, die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes, sagte zur politischen Strafjustiz der Bundesrepublik in den 50erJahren, sie sei „kein Ausdruck einer besonderen demokratischen Souveränität“ gewesen und mitverantwortlich für die „mangelhafte Entwicklung eines demokratischen Klimas in der Bundesrepublik“
jener Zeit.
Die historischen Prozesse sind wohl doch etwas widersprüchlicher und widersetzen sich einfachen Antworten nach dem Raster hier Schwarz, da Weiß. Wenn es eine Lehre aus dieser Geschichte gibt, dann die, immer dann Misstrauen an den Tag zu legen, wenn uns Regierende dazu drängen wollen, wieder einmal im Interesse höherer Staatsziele verbriefte Grundrechte der Bürger auszuhöhlen.
Geht es bei der Beurteilung von Personen, die Kontakte zur Stasi hatten, tatsächlich um eine differenzierte Beurteilung von Schuld oder Unschuld oder geht es nur darum, das bewährte Schema zu bedienen, je mehr Schmutz am politischen Gegner hängen bleibt, um so strahlender und größer stehen die „wahren Demokraten“ da? Das SPD-Mitglied Friedrich Schorlemmer stellt fest, dass es auch noch 20 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR ein verbreitetes Bedürfnis gibt, Menschen am Pranger zu sehen. Er sprach in diesem Zusammenhang von der  „Fortsetzung des kalten Krieges mit den Mitteln emotionaler Aufheizung“. Welche Rolle spielt eigentlich, in welcher Weise sich jemand eingesetzt hat für ein funktionierendes Gemeinwesen, sei es vor 1989 oder in den letzten zwanzig Jahren?
Die ganze Stasi-Debatte ist entweder nur ein Mittel zur Delegitimierung und Kriminalisierung von Personen und Parteien oder tatsächlich Ausdruck einer echten Bereitschaft zum Führen einer Auseinandersetzung über die Verteidigung und Entwicklung demokratischer Werte. Dann bitte aber auch unter Einschluss der Analyse von Machtstrukturen und Menschenrechtsverletzungen hier und heute, über Zivilcourage und die Möglichkeiten der Erweiterung demokratischer Mitwirkungsformen.
Die Frage ist noch nicht beantwortet: Soll Geschichte wieder einmal als Keule zur Diffamierung des politischen Gegners herhalten oder wollen wir gemeinsam daran gehen, aus der Vergangenheit etwas zu lernen für heute und morgen. In diesem Sinne bin ich also dabei, wenn es darum geht, die Werte der Demokratie hochzuhalten und gegen jeden Versuch, das Grundgesetz und die Menschenrechte auszuhebeln, die Stimme zu erheben. Zu tun gibt es in unserer Gesellschaft reichlich.

Lothar Gierke